Kann das Spurenelement Selen den Alterungsprozess verlangsamen?
Jung, gesund und aktiv bleiben – dieser Wunsch begleitet viele Menschen bis ins hohe Alter. Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln versprechen häufig, genau diesen Wunsch zu erfüllen. Immer mehr ihrer Produkte enthalten das Spurenelement Selen. Es soll nicht nur den Alterungsprozess verlangsamen, sondern auch die Funktion der Schilddrüse unterstützen und das Immunsystem stärken. Was ist an diesen Aussagen dran? Ist Selen wirklich ein „Anti-Aging-Wunder“ oder steckt dahinter nur eine gute Marketingstrategie?
Text: Pauline Ulbrich
Layout & Lektorat: Carolin Makus
Was ist Selen?
Selen ist ein essenzielles Spurenelement. Das bedeutet, dass unser Körper es nicht selbst herstellen kann und wir es täglich über die Nahrung aufnehmen müssen. Obwohl Selen nur in sehr kleinen Mengen benötigt wird, ist es für zahlreiche Prozesse im Körper von großer Bedeutung. Dazu gehören vor allem die Abwehr von oxidativem Stress, die Funktion der Schilddrüse und die Stärkung des Immunsystems.
Wie viel Selen brauchen wir täglich?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Frauen ab 15 Jahren eine tägliche Selenzufuhr von etwa 60 Mikrogramm und Männern etwa 70 Mikrogramm. (1)
Viele frei verkäufliche Nahrungsergänzungsmittel enthalten jedoch deutlich höhere Mengen von bis zu 200 Mikrogramm pro Kapsel. Vorsicht ist geboten, denn zu viel Selen kann schädlich sein und sogar zu einer Vergiftung, der sogenannten Selenose, führen.
Selenmangel kommt in Europa äußerst selten vor, erste Mangelerscheinungen können bei einer täglichen Zufuhr von weniger als 20 Mikrogramm auftreten. (vgl. Biesalski et al. 2018)
Nur bei Krankheiten, durch die Sie Selen nicht richtig aufnehmen können oder es vermehrt verlieren, besteht ein erhöhtes Risiko. Leiden Sie beispielsweise an einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit oder Niereninsuffizienz, könnte ein Nahrungsergänzungsmittel mit Selen für Sie sinnvoll sein. (3)
Genauso selten ist eine ernsthafte Vergiftung durch eine Überdosierung von Selen. Sie kann ab einer Aufnahme von 800 Mikrogramm des Spurenelements auftreten. (vgl. Biesalski et al. 2018)
Symptome einer Vergiftung sind unter anderem ein knoblauchartiger Mundgeruch, Übelkeit, Verlust von Haaren und Nägeln, Müdigkeit sowie verschiedene neurologische Störungen. (3)
Wirklich gefährlich wird es, wenn man versehentlich mehrere Gramm Selen zu sich nimmt. Folgen einer solch akuten Selenvergiftung können nämlich Kammerflimmern und Herzversagen sein. (4)
Selen im Alter – worauf Sie achten sollten
Die Empfehlung für die tägliche Selenzufuhr ändert sich im Alter nicht. Das bedeutet, dass Sie nicht mehr Selen zu sich nehmen müssen als 60 – 70 Mikrogramm pro Tag.
Leider nimmt aber im Alter häufig der Appetit ab, was zu einer verringerten Nährstoffaufnahme führen kann. Auch Medikamente oder Verdauungsprobleme können den Stoffwechsel von Selen stören. Dadurch kann neben anderen Mangelerscheinungen auch ein leicht erhöhtes Risiko für einen Selenmangel entstehen.
Es ist immer ratsam, sich mit Ärzt:innen zu beraten und regelmäßig einen Bluttest durchführen zu lassen. Dieser kann Ihnen Aufschluss über bestehende Nährstoffmängel geben und eine rechtzeitige, auf Sie angepasste Behandlung ermöglichen.
Finden kann man Selen vor allem im Boden, wobei der Selengehalt sich in verschiedenen Regionen unterscheidet. Die Böden in Deutschland enthalten beispielsweise verglichen mit anderen Ländern relativ wenig Selen. (vgl. Biesalski et al. 2018)
Pflanzen nehmen Selen abhängig vom Selengehalt des Bodens auf. Auch viele tierische Produkte sind gute Selenquellen. Deshalb reicht eine ausgewogene Ernährung normalerweise aus, um den täglichen Bedarf abzudecken.
Paranüsse sind eine hervorragende natürliche Selenquelle. Bereits 100 Gramm reichen aus, um den täglichen Selenbedarf abzudecken. Doch auch hier ist Achtung geboten: Neben Selen reichern die Nüsse auch größere Mengen an radioaktiven Stoffen an als andere Lebensmittel. Sie sollten deshalb nur gelegentlich und in geringen Mengen verzehrt werden. (5)
Weitere pflanzliche Lebensmittel wie Brokkoli, Weißkohl, Spargel, Pilze und Hülsenfrüchte können den Körper auch mit genügend Selen versorgen. Eier, Fleisch und Fisch können zusätzlich zu einer ausreichenden Selenzufuhr beitragen, da Tierfuttermittel in Europa mit dem Spurenelement angereichert werden dürfen. (4)
Was ist oxidativer Stress und wie kann uns Selen davor schützen?
Sicherlich haben Sie schon einmal von oxidativem Stress und freien Radikalen gehört. Vor allem in Verbindung mit dem Alterungsprozess und der Entstehung diverser Krankheiten werden diese Begriffe oft erwähnt.
Freie Radikale entstehen durch Umweltfaktoren wie UV-Strahlung, Stress und Schadstoffe aber auch durch ganz normale Stoffwechselvorgänge im Körper. Sie können mit Bestandteilen der Zellen reagieren und so Schäden verursachen.
Diese Schäden können zu einer beschleunigten Alterung der Zellen führen und die Entstehung von Krankheiten begünstigen. Zum Schutz vor ebensolchen Schäden, kommen körpereigene, antioxidative Systeme zum Einsatz. Hier kommt nun Selen ins Spiel: Als Bestandteil von antioxidativen Enzymen schützt Selen die Zellen effektiv vor den Angriffen der freien Radikale. (vgl. Steinbrenner, Klotz 2020)
Dieser Mechanismus legt nahe, dass eine ausreichende Versorgung mit Selen daran beteiligt ist, eine vorzeitige Alterung der Zellen zu verhindern.
Warum Selen so wichtig für Ihre Schilddrüse ist
Eine weniger bekannte, aber dennoch zentrale, Rolle spielt Selen in der Schilddrüsenfunktion. Neben Jod ist es einer der wichtigsten Mineralstoffe für die Schilddrüsenhormone. Jod ist zwar essenziell für die Synthese der Hormone, doch Selen ist entscheidend für die Aktivierung dieser Hormone.
Die beiden Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) beeinflussen den Stoffwechsel. Einfach ausgedrückt, geben sie das Tempo für viele wichtige Prozesse im Körper vor. Dazu gehören unter anderem die Herzaktivität, der Blutdruck, die Darmtätigkeit, die Insulinproduktion und viele mehr. Sie haben dabei grundsätzlich dieselbe Funktion, unterscheiden sich jedoch stark in ihrer Wirksamkeit. (7)
Enzyme, die selenabhängig sind, können das weniger effektive T4 in das aktivere T3 umwandeln und umgekehrt. Ist nicht ausreichend Selen im Körper vorhanden, kann es beispielsweise zu einer Unterfunktion der Schilddrüse kommen. (8) – Folgen können Müdigkeit, Gewichtszunahme, depressive Verstimmungen und Konzentrationsprobleme sein.
Schilddrüsenprobleme treten im Alter besonders häufig auf. Vor allem bei Frauen kann es zu einer Unterfunktion kommen. Die eben aufgezählten Symptome werden dann oft als normale Alterserscheinungen abgetan. Sie sollten also insbesondere im Alter auf eine ausreichende Versorgung mit Selen achten, um Ihre Schilddrüse zu schonen.
Schutz für das Gehirn – kann Selen das Denkvermögen erhalten?
Auch unser Gehirn könnte auf Selen angewiesen sein, denn Forschende gehen schon länger davon aus, dass das Spurenelement eine wichtige Rolle für die Gesundheit des Nervensystems spielt. Unser Körper kann Selen besonders gut im Gehirn zurückhalten, selbst wenn im restlichen Körper ein Mangel besteht. Das deutet darauf hin, dass Selen wichtig für die geistige Leistungsfähigkeit sein könnte.
In Labor- und Tierversuchen konnte bereits gezeigt werden, dass Selen Nervenzellen schützt und vor oxidativem Stress bewahrt. Bei Studien mit Menschen sind die Ergebnisse dagegen noch uneinheitlich. (vgl. Steinbrenner, Brigelius-Flohé 2015)
Eine große Studie aus den USA kam zu dem Schluss, dass die Einnahme von Selen nicht vor Alzheimer schützen kann. (vgl. Steinbrenner, Brigelius-Flohé 2015) – Allerdings gibt es einige Beobachtungsstudien, in denen ältere Menschen mit einem niedrigen Selenwert bei Denk- und Konzentrationstests schlechter abschnitten als Gleichaltrige mit höheren Selenwerten. In einer französischen Langzeitstudie zeigte sich außerdem: Wer über Jahre hinweg besonders wenig Selen im Blut hatte, verlor stärker an geistiger Leistung. (vgl. Steinbrenner, Klotz 2020)
Eine gute Selenversorgung könnte also dazu beitragen, im Alter geistig fit zu bleiben. Eindeutige Beweise fehlen noch, aber die Hinweise sind vielversprechend.
Selen in Nahrungsergänzungsmitteln: Worauf sollten Sie achten?
Es gibt zahlreiche Hersteller, die Nahrungsergänzungsmittel mit Selen vertreiben. Da ist es kein Wunder, wenn man mit der Auswahl des richtigen Produktes überfordert ist. Es gibt jedoch einige Qualitätsmerkmale, auf die Sie beim Kauf achten können.
Das Wichtigste zuerst: Nahrungsergänzungsmittel sind keine Arzneimittel. Sie gelten als Lebensmittel und können bei der Behandlung von Krankheiten nicht den Platz von Medikamenten einnehmen. Auch eine ausgewogene Ernährung kann man mit ihnen nur unterstützen, nicht aber ersetzen. Vermeiden Sie deshalb Hersteller, die unrealistische Erfolgsversprechen machen oder sogar die Heilung von Krankheiten in Aussicht stellen.
Bedeutsam ist auch die Zusammensetzung des Produkts. Im Vordergrund steht die Dosierung des Wirkstoffes: In Europa dürfen Nahrungsergänzungsmittel nicht mehr als 200 Mikrogramm Selen pro Kapsel enthalten. Auch über die weiteren Zutaten sollten Sie sich informieren, denn einige Nahrungsergänzungsmittel können Allergene wie Laktose oder Gluten enthalten.
Kaufen Sie Nahrungsergänzungsmittel am besten in einer Apotheke, einer Drogerie oder einem Lebensmittelgeschäft ein. Produkte, die nur im Internet verkauft werden, sind schwieriger zu überprüfen und können unter Umständen aus dem Ausland kommen. Enthalten sie beispielsweise eine höhere Dosis an Selen als in der EU zugelassen, können sie in Deutschland als Arzneimittel gelten und vom Zoll beschlagnahmt werden. (10)
Fazit: Was ist dran am „Anti-Aging“ – Effekt von Selen?
Selen schützt unsere Zellen und unterstützt wichtige Körperfunktionen – allem voran das Immunsystem und die Schilddrüse. Bislang gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Studien, die belegen, dass Selen den Alterungsprozess erheblich verlangsamt.
Die ausreichende Versorgung mit Selen ist für die Funktion des Körpers trotzdem von großer Bedeutung. Genau wie bei allen anderen Mengen- und Spurenelementen, sollten Sie auch bei Selen auf eine ausreichende Aufnahme achten. Das schaffen Sie am besten mit einer ausgewogenen Ernährung, denn natürliche Lebensmittel enthalten in der Regel ausreichend Selen, um Ihren täglichen Bedarf abzudecken.
Die zusätzliche Einnahme von Selen ist nur in Sonderfällen notwendig. Im Zweifelsfall sollten Sie sich immer professionell beraten lassen, bevor Sie Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen.
Quellen
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